Habe ich interkulturelle Erfahrung?

Meine interkulturelle Prägung begann in meiner Kindheit. Ich bin in einer zweisprachigen Familie (Deutsch–Italienisch) aufgewachsen: Mein Vater stammt aus Südtirol und ist deutschsprachig, meine Mutter ist italienischsprachig mit familiären Wurzeln im Piemont und in der Toskana. Geboren in Mailand, wuchs ich ab dem zweiten Lebensjahr in Südtirol auf. Dort prägte mich das Leben in einer Region, in der italienische und deutsche Kultur im Alltag eng miteinander verflochten sind. Von klein auf war es für mich selbstverständlich, mit meinem Vater Deutsch und mit meiner Mutter Italienisch zu sprechen. Regelmäßige Familienbesuche in Bozen/Meran, am Gardasee, in der Lombardei und in Rom haben dieses interkulturelle Erleben weiter vertieft. Auch meine Freundeskreise waren durchgehend gemischt, sodass ich schon früh lernte, flexibel zwischen sprachlichen und kulturellen Kontexten zu wechseln.

Als Jugendlicher verbrachte ich ein Jahr in den USA, wo ich die 12. Schulstufe besuchte. Dieser längere Auslandsaufenthalt hat mir nicht nur die englische Sprache nachhaltig erschlossen, sondern auch tiefe Einblicke in die amerikanische Kultur ermöglicht. Später verbrachte ich insgesamt 13 Jahre in Innsbruck, wo ich studierte und lebte. In dieser Zeit setzte ich mich mit der österreichischen Kultur auseinander und lernte gleichzeitig zahlreiche Menschen aus verschiedenen Ländern kennen, unter anderem durch das Leben in Wohngemeinschaften mit internationalen Mitbewohnern, wie etwa aus Georgien.

Weitere Stationen meiner Biografie waren ein Jahr in Ligurien, wo ich neben dem Aufenthalt auch berufliche Tätigkeiten übernahm, sowie drei Jahre in Norddeutschland, wo ich als Universitätsdozent tätig war. Gerade die Zeit in Norddeutschland stellte für mich als Südtiroler eine prägende Erfahrung dar, da ich dort mit zum Teil stark unterschiedlichen kulturellen Erwartungen und Kommunikationsstilen konfrontiert war. Über meine Arbeit hatte ich außerdem regelmäßigen Kontakt zu dänischen Kollegen, ergänzt durch persönliche Aufenthalte in Dänemark.

Neben diesen längeren Aufenthalten habe ich durch vielfältige Reisen meine interkulturellen Erfahrungen erweitert. Dazu gehören Aufenthalte in Frankreich, England, der Schweiz, Schweden, Spanien, Slowenien, den Niederlanden und Belgien. Besonders prägend waren zwei jeweils einmonatige Reisen nach Indien, die mir intensive Einblicke in eine gänzlich andere Kultur eröffneten. Während dieser Zeit habe ich auch Trekkingtouren im Himalaya unternommen. Hinzu kommen Aufenthalte in Thailand, wo ich mich intensiv dem Sportklettern widmete, sowie in Singapur, die mein Verständnis für asiatische Kulturen erweitert haben. Darüber hinaus bin ich mit dem Fahrrad durch weite Teile Nordeuropas gereist, was mir unmittelbare Begegnungen und Erfahrungen in unterschiedlichen Ländern ermöglichte.

Schließlich habe ich ein Jahr lang Sprachtrainings mit Migranten aus Nigeria, Mali und Burkina Faso durchgeführt. Diese Tätigkeit ermöglichte mir, nicht nur beim Spracherwerb zu unterstützen, sondern auch etwas über die kulturellen Hintergründe der Teilnehmenden zu erfahren und interkulturelle Lernprozesse aktiv zu gestalten.

Zusammengenommen spiegeln diese Erfahrungen eine kontinuierliche und vielschichtige Auseinandersetzung mit unterschiedlichen kulturellen Kontexten wider – im familiären Umfeld, in Ausbildung und Beruf sowie in internationalen Begegnungen. Sie haben mir nicht nur sprachliche Kompetenzen vermittelt, sondern vor allem die Fähigkeit, Perspektiven zu wechseln, unterschiedliche Sichtweisen zu integrieren und Brücken zwischen Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen zu schlagen.

Heute habe ich mich gefragt: „Habe ich interkulturelle Erfahrung? Zunächst dachte ich, dass ich sie gerne hätte. Doch beim Nachdenken wurde mir klar: Ja, ich habe interkulturelle Erfahrung.“